Als ich vor ca. 18 Jahren bei Frau Cross anfing, war ich doch überrascht, welchem Krankheitsbild ich dort begegnete. Kannte ich Torticollis bis dahin nur aus dem Schulunterricht und auch nur bei Kleinkindern und direkt nach der Geburt.
Aber Erwachsene hatte ich noch nicht gesehen. Ich durfte mir die Behandlungen bei Frau Cross ansehen und fand schon bald nicht nur das Krankheitsbild, mitsamt der Therapieansätze, sondern auch die Menschen dahinter sehr interessant.
Relativ schnell stieg ich auch in die Torticollistherapie ein und machte erste Erfahrungen mit der Arbeit von schiefen Strukturen und einer „unheilbaren“ Erkrankung. Ich bewundere die Arbeit von Frau Cross, die sich so viele Gedanken gemacht hat, so viel Geduld mit einem so komplexen Krankheitsbild hatte, ein Netzwerk mit vielen Ärzten aufbaute und sich so stark für die Patienten machte. Heute bin ich sehr dankbar, dass ich so viel von ihr lernen konnte und durfte.
Ich habe mich dann auch gefragt, warum ich das noch nie wo anders gesehen hatte, oder mal gehört habe, dass ein Kollege Torticollis nach diesem Konzept behandelt? Meine Erklärung dafür war, nachdem ich aufmerksam beobachtete und verglich, kein Patient ist wie der andere, keine Symptomatik ist wie die andere. Jeder muss ein auf ihn speziell ausgearbeitetes Programm haben. Und das machte diese Behandlung so besonders und so umfangreich und auch so intensiv. Bei den folgenden Behandlungen sind mir folgende Dinge aufgefallen:
Erstens genau beobachten und dann funktionell denken und behandeln. Dazu gehört, dass man sich genau mir den vorhandenen Bewegungsabläufen auseinandersetzt und dann versucht, diese in physiologische umzusetzen.
Zweitens der Mensch das Individuum. Jeder Patient ist anders, in seiner politischen Einstellung, seiner Glaubensrichtung, seinem Berufsstand, seiner allgemeinen Lebenseinstellung und seinen bis dahin unterschiedlichen Behandlungskonzepten. Nur eines haben alle gemeinsam: den Kampf gegen den „Schiefhals“.
Drittens: Ich muss das eine mit dem anderen verbinden.
Ich bin als Behandler sozusagen das Bindeglied, der Vermittler, der Mediator von Patient und seinen Symptomen.
Das war schon mal ein guter Plan. In vielen Jahren, vielen Patienten, vielen Erfahrungen, vielen Veränderungen in der Gesundheitspolitik entwickelte ich mich und hatte so mein „Konzept“ wie ich therapiere und auch menschlich mit dem Patienten ein „Team“ sein kann.
Für mich stand im Vordergrund der Mensch mit seiner Erkrankung. Nicht umgekehrt. Es gab viele Behandlungen, in denen wir gut vorwärtskamen, Therapieerfolge hatten. Es gab auch Stillstände, in denen Motivation wichtig war. An deutliche Verschlechterung durch die Therapie kann ich mich kaum erinnern.
Ein kleines Fallbeispiel: Es kam eine junge Frau aus Moskau ins Haus. Sie sprach kein Deutsch, sodass alles übersetzt werden musste. Sie hatte also eine Dolmetscherin mit. Die Torticollis-Symptomatik war deutlich und sie beschloss, drei Wochen zu bleiben. Auffällig war, dass sie schnell redete und sich auch sehr hektisch bewegte. Ein kurzer Vergleich: Während die Dolmetscherin einen Schritt machte, machte die Patientin zwei oder drei … man hörte das. Auch bei den Gesprächen war ein deutlicher Unterschied im Tempo zu hören. Meine Erkenntnis war sofort: Wir müssen in allem mindestens drei Gänge runter schalten.
Das war für sie Hochleistung, ruhiger, langsamer und loslassen … Es war schwer, aber es funktionierte. Nach schon zwei Wochen kamen beide im Gleichschritt … ich war happy, sie war happy, die Dolmetscherin war happy. Auch die Symptomatik wurde kontrollierter. Sie hat viel erreicht in den drei Wochen. Aber nun zurück, allein üben, Geschäftsalltag in Moskau … ob das gut geht? Ich war mir nicht sicher.
Aber ich wurde überrascht, als sie ein halbes Jahr später, verabredet zur Kontrolle, wiederkam. Gut, sie war wieder etwas „dynamischer“ geworden, aber sie hat einiges umgestellt. Diszipliniert, konsequent trainiert, die gesamten Lebensstrukturen runter gefahren. Sehr gut!
Ein tolles Beispiel. Funktioniert bei jedem. Auch aus ihr soll und kann man keinen anderen Menschen machen. Darum ging es auch nicht. Sondern um ein Erkennen, Verstehen und ein Umdenken. Und genauso individuell ist der Mensch und der Mensch mit Torticollis.
Vieles ist heute, in der schnelllebigen Zeit, nicht immer leicht umzusetzen. Aber ich kann als Therapeut eine Bremse ziehen, eine Pause sein, einen Teil dazu beitragen, verstanden und ernst genommen zu werden. Aber ich darf auch nicht stehen bleiben. Ich muss weiter beobachten, weiter Erfahrungen machen, weiter gute Übungen entwickeln … und dafür brauchen wir uns gegenseitig als Team!
In diesem Sinne wünsche ich uns allen weiterhin viel Kraft, Mut, Geduld, Zeit und Chi.